23.04.2007

Kommt die Einheitsversicherung? GKV und PKV nähern sich an

Von Ilse Schlingensiepen

Die Gesundheitsreform wird entscheidend dazu beitragen, dass sich die Systeme der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und der privaten Krankenversicherung (PKV) langfristig aufeinander zu bewegen. Zu diesem Ergebnis kommt die Ratingagentur Fitch in einer Untersuchung. Ratingagenturen prüfen in erster Linie die Finanzstärke von Unternehmen; darüber hinaus setzen sie sich aber auch mit allgemeinen Entwicklungen in den von ihnen beobachteten Branchen auseinander.

In Deutschland deute sich ein Konvergenzprozess zu einem regulierten, einheitlichen Gesundheitssystem an, wie es in anderen europäischen Ländern üblich sei, schreiben die Analysten Tim Ockenga, Axel Großpietsch und Christos Stavrianidis in ihrem Bericht „Deutsche Private Krankenversicherer - viel Lärm um nichts?“. Unter diesen neuen Rahmenbedingungen würden neue Geschäftsmodelle für die PKV als „Eliteversicherer“, Zusatzversicherer oder Anbieter von Gesundheitsleistungen entstehen, erwarten sie. Noch sei unklar, zu welchem Zeitpunkt und in welchem Umfang sich die aus Sicht der PKV negativen Auswirkungen der Gesundheitsreform manifestieren.

Noch sind die Probleme im Gesundheitswesen nicht gelöst. Mit der Prognose einer Konvergenz der Systeme stehen die Fitch-Analysten nicht allein. „Die Dualität von GKV und PKV war früher sehr klar. Das Wettbewerbsstärkungsgesetz verwässert die Systeme“, kritisiert etwa Rolf Bauer, Vorstandsvorsitzender der Continentale Krankenversicherung. Er sieht die Tendenz zu einer Einheitsversicherung in Deutschland. Das ist nach seiner Einschätzung wenig sinnvoll. Die Konvergenz werde keinen Schub für die Bewältigung der Probleme im Gesundheitswesen bringen und keinen Schritt in Richtung Zukunftssicherheit. „Die PKV hat stärkere GKV-Elemente bekommen, die GKV hat stärkere PKV-Elemente bekommen“, sagt Dr. Volker Leienbach, der Direktor des PKV-Verbands. Der künftige Basistarif hänge sehr eng an der Entwicklung der Kassen. Für die Branche komme es jetzt sehr stark darauf an, die traditionellen Vollversicherungsangebote gut im Markt zu positionieren. „Die PKV ist gut beraten, ihre heutige Tarifwelt so zu gestalten, dass Versicherte sich nicht für den Basistarif, sondern für das Original entscheiden“, sagt Leienbach.

Krankenversicherer sind derzeit profitabler als Lebensversicherer. Die Gesundheitsreform stelle die PKV-Unternehmen just in dem Moment vor große Herausforderungen, als sie sich von der Krise der Kapitalmärkte erholt hätten, schreiben die Fitch-Experten in ihrer Untersuchung. Die aktuelle Kapitalausstattung der Branche stufen sie als gut ein, die Profitabilität als besser als die der Lebensversicherer. Allerdings entschieden sich seit 2000 immer weniger neue Kunden für eine Vollversicherung. Der Boom bei den Zusatzversicherungen reiche bei den meisten Anbietern nicht aus, um den Rückgang auszugleichen. Jetzt droht nach Einschätzung der Analysten ein weiterer Einbruch durch die neue dreijährige Sperre für den Wechsel von der GKV in die PKV. Nur Patienten, die mindestens drei Jahre lang mehr als die Versicherungspflichtgrenze verdienen, können noch PKV-Mitglied werden. Die Öffnung des PKV-Standardtarifs für Nicht-Versicherte wird bis Ende 2007 zu einer Verdoppelung der Versichertenzahlen in diesem Tarif führen, so die Prognose. Vom 1. Juli 2007 bis zum Start des Basistarifs 2009 wird der Standardtarif für alle Personen geöffnet, die bislang keine Krankenversicherung haben. Danach gilt eine Pflicht zur Versicherung. Ende 2005 gab es im Standardtarif branchenweit knapp 20 000 Versicherte. Bei den Neuzugängen werde es einige Kunden geben, die nicht den vollen Beitrag bezahlen müssten. Die Differenz müsste per Umlage von allen PKV-Versicherten finanziert werden. So können Beitragserhöhungen zu Stande kommen.

„Größere Auswirkungen auf das Geschäftsmodell der PKV werden die Portabilität der Alterungsrückstellung und die Einführung des Basistarifs ab dem 1. Januar 2009 haben.“ Die Prognose von Fitch: Nach der Durststrecke durch die Wechselsperre werden viele Unternehmen im ersten Halbjahr 2009 den Basistarif nutzen, um neue Kunden zu gewinnen. „Da die negativen Effekte des Basistarifs über eine Poollösung auf die gesamte Branche umverteilt werden, besteht nur ein indirekter Anreiz, die Anzahl der Versicherten im Basistarif möglichst gering zu halten“, heißt es in der Studie.

In diesem Fall könnte der Basistarif zulasten der Normaltarife zu einem „neuen Kernstück der PKV“ werden, so Fitch. Falls das Szenario eintreten sollte, sei mit dem Wettbewerbsstärkungsgesetz der Grundstein für eine „schleichende Erosion der Normaltarife“ gelegt worden.

STICHWORT - Basistarif Die privaten Krankenversicherungen müssen ab 2009 einen Basistarif anbieten. Die Leistungen sollen denen in der GKV entsprechen. Eine Risikoprüfung gibt es nicht.

Versicherte, die heute eine PKV-Police besitzen, haben nur in den ersten sechs Monaten des Jahres 2009 die Möglichkeit, ohne große Verluste zu einem anderen PKV-Unternehmen in den Basistarif zu wechseln. Nur dann werden ihnen ihre angesparten Alterungsrückstellungen angerechnet.